Kirgistan – Bischkek, Naryn

ca. 27. August bis 12. September 2009

Externe Demokratisierung in der Krise

Auf dem Platz Ala-Too im Zentrum von Bischkek
Auf dem Platz Ala-Too im Zentrum von Bischkek

Seit der Unabhängigkeit in Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion bleiben die Lebensbedingungen für die Bevölkerung in Kirgistan schwierig. Nach dem Ende der innersowjetischen Wirtschaftsbeziehungen brach wie in den meisten anderen postsozialistischen Ländern die Ökonomie zusammen. Politisch war das 5-Millionen-Land im zentralasiatischen Hochgebirge unter dem damaligen Präsidenten Askar Akaev eines der wenigen, die sich klar zu Demokratie bekannten. Doch die Realität sah anders aus: Nach einem durchaus hoffnungsvollen Start wurde der Kurs immer autoritärer. Nachdem im Vorfeld der Parlamentswahlen 2005 offensichtliche Fälschungen die Bevölkerung gegen die Regierung aufgebracht hatten, während insbesondere für die Menschen auf dem Land die wirtschaftliche Lage immer aussichtsloser wurde, mussten Präsident Akaev und seine Leute bei einem recht spontanen Volksaufstand aus dem Land fliehen. Die neue Staatsmacht um den neuen Präsidenten Kurmanbek Bakiev hatte zwar allerlei Parolen mitgebracht, mit der sie Demokratisierung, Bekämpfung der Korruption und Wohlstand versprach, sind die Ergebnisse durchwachsen: Zwar steigt das Einkommen vieler Menschen in den Städten, doch bei weltweit explodierenden Lebenshaltungskosten ist das Leben eher schwieriger geworden; Hunderttausende sind allein in den letzten Jahren in die Hauptstadt Bischkek und die südliche Metropole Osch migriert, wo die sowjetische Infrastruktur für so viele Menschen nicht ausgelegt ist; etwa eine Million Menschen sind als ArbeitsmigrantInnen nach Russland und Kasachstan gegangen, um ihre Familien zu ernähren; das ehemals sehr leistungsfähige staatliche Bildungssystem ist seit vielen Jahren in der Krise. Zudem sind mittlerweile große Teile der gut ausgebildeten Bevölkerung aus allen Gesellschaftsbereichen dauerhaft in andere Länder emigriert, was zu einem immer drängenderen Fachkräftemangel führt.

Im Winter 2008/2009 kam eine dramatische Energiekrise hinzu: durch Missmanagement, Korruption, Trockenheit und den andauernden Zerfall der Infrastruktur fiel der Wasserstand des größten Stausees, Toktogul, der für einen Großteil des Strombedarfs Kirgistans aufkommt, unter eine kritische Marke. Um das Unterschreiten des fatalen Pegelstands im Frühjahr, bei dem die Anlage komplett ausfällt, zu verhindern, mussten die Menschen im ganzen Land unter sechs- bis zwölfstündigen Stromabschaltungen täglich leiden. Für den Winter 2009/10 gibt es aber bislang bessere Aussichten.

Offensichtlich gescheitert sind die Bemühungen internationaler Organisationen, den Aufbau eines funktionierenden Staats zu begleiten. Als ehemaliges demokratisches Musterland hat Kirgistan viele solcher Organisationen angezogen, die mit viel Geld den Aufbau von Staats- und Zivilgesellschaftsstrukturen betrieben haben. Noch immer hat das Land eine enorme Anzahl an NGOs, die mit ihrer Arbeit viele wichtige Funktionen übernehmen. Ihr Einfluss ist – entgegen ihren Hoffnungen nach 2005 – jedoch rapide zurückgegangen.

Auf unserer Reise wollen wir mit VertreterInnen von NGOs, JournalistInnen, PolitologInnen, Studierendengruppen und WissenschaftlerInnen sprechen. Zudem werden wir die Möglichkeit haben, aktive Jugendliche zu treffen und ihre Sicht auf die Zukunft kennenzulernen.

Von unseren GesprächspartnerInnen möchten wir erfahren, was sie als die wichtigsten Probleme sehen, wie sich in ihren Augen die Gesellschaft verändert hat und was sie tun, um selbst Veränderungen zu erreichen. Der NGO-Sektor spielt in Kirgistan eine wichtige Rolle: Er beeinflusst die demokratischen Prozesse im Land zwar immer weniger, übernimmt aber auch viele Funktionen, die der Staat und seine Sozialsysteme aus Geldmangel nicht erfüllen können. Bei unseren Gesprächen möchten wir versuchen, die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen vor dem Hintergrund der ökonomischen und sozialen Bedingungen zu verstehen. Dabei werden wir viel über die Probleme postsozialistischer Gesellschaften, das Scheitern westlicher Demokratisierungspolitik und unser eigenes politisches Denken und Handeln lernen.

Die Auswahl möglicher GesprächspartnerInnen und ihre Spezialisierungen sind groß. Wie wir konkret unser Programm gestalten, werden wir gemeinsam auf einem Vorbereitungsseminar entscheiden, das voraussichtlich im Juli stattfindet.

Trotz aller Probleme hat Kirgistan nicht nur viele ausgesprochen interessante GesprächspartnerInnen zu bieten, sondern ist auch ein großartiges Reiseland: Atemberaubende Landschaften im Hochgebirge des Tian-Shan, hervorragendes (jedoch fleischlastiges) Essen oder den grandiosen See Issyk-Kul. Außer dem Straßenverkehr ist das Land zudem auch völlig sicher für Reisende. Unser Programm wird zwar dicht und anstrengend, aber auf jeden Fall ausreichend Zeit bieten, um Stadt und Land zu erkunden. Zudem lässt sich die Reise problemlos verlängern.

Der größere Teil unserer Reise wird in Bischkek stattfinden. Zudem möchten wir mit Euch nach Naryn fahren, wo wir u.a. mit VertreterInnen der neu gegründeten Universität in Naryn, die von der Aga-Khan-Stiftung unterstützt wird, über die Misere des Bildungssystems und die Probleme des ländlichen Raums sprechen wollen.

Das Vorbereitungsteam kennt sich im Land hervorragend aus (zwischen einem und 25 Jahren Erfahrung).

Besondere Sprachkenntnisse sind nicht unbedingt erforderlich. Grundlegende Englischkenntnisse sind von Vorteil. Russischkenntnisse eröffnen vollständige Selbständigkeit, Türkisch eröffnet einen ersten Zugang zur kirgisischen Sprache. Es wird russisch-deutsch/englisch gedolmetscht.

Teilnahmebeitrag: ca. 750-900 Euro. Im Teilnahmebeitrag sind Vorbereitung, Flugkosten, Fahrtkosten im Land und Unterkunft (wir werden wieder eine Wohnung im Stadtzentrum mieten) enthalten.

Für diese Veranstaltung wird die (sehr wahrscheinliche) Anerkennung als Bildungsurlaub nach dem Berliner Bildungsurlaubsgesetz beantragt.

Voraussichtlich im November 2009 wird eine Gruppe kirgisischer AktivistInnen nach Berlin kommen. Nach Möglichkeit sollten alle Teilnehmende unserer Reise nach Kirgistan auch zumindest für einige Tage am Berliner Programm teilnehmen.

TeamerInnen: Yulia und Michael Schulte

Infos und Anmeldung: kirgistan (ett) iak-net.de

Eine gute und aktuelle Analyse der politischen Lage in Kirgistan findet sich in Ausgabe 11 der Zentralasienanalysen der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V.: „Auf der Suche nach der Tulpenrevolution. Kirgistan im Herbst 2008“ von Alexander Wolters.

Hier geht es zu unserer ausführlichen Linkliste zu kirgisischen englisch- und russischsprachigen Medien sowie einigen Organisationen (noch im alten Design der Website).

Kirgistan: Externe Demokratisierung in der Krise
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2 Kommentare zu „Kirgistan: Externe Demokratisierung in der Krise

  • 8. Juni 2009 um 10:51 Uhr
    Permalink

    Hallo Michael,

    gibt es für Kirgistan noch Plätze. Mir passt der Termin eigentlich gar nicht, aber das Ziel ist so spannend.

    Gruß
    Andreas

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