Deutsch-Namibier und Deutsche in Namibia

Die Namibier-Deutschen sind nach wie vor recht präsent im Lande, obwohl sie weniger als 1% der Bevölkerung stellen. Vor allem in Swakopmund fühlt man sich wie in einem deutschen Ostsee-Bad, mit dem Unterschied, dass es breite Straße (teilweise aus einem Salzgemisch gebaut) und breite Autos (meist Pickups) gibt. Deutsch ist dort in der Innenstadt häufig zu hören; von Einheimischen wie von deutschen Touristen, die in Gruppen von 20 Personen im Safari-Outfit durch die Stadt laufen, in einem der Kunsthandwerker-Lädchen Souvenire kaufen oder im Anschluss an eine Wüstentour in einem der Restaurants sitzen. Gab es früher für 1 Namibischen Dollar 1200 DM, liegt der Kurs heute bei 1 Dollar zu 0,065 Euro, weshalb der Tourismus in den letzten Jahren zugenommen hat.

Schorch, mit dem wir einige Stunden durch die Wüste und über Dünen fahren (was diesen angeblich nichts macht), wohnt ebenfalls in Swakopmund (dem „Altersheim Namibias, weil Renter_innen sich dort in Villen niederlassen) und gehört noch zu den angenehmeren Deutsch-Namibiern. Doch das Gesetz, dass jeder Unternehmer auch einen schwarzen Partner haben sollte, findet keine Zustimmung bei ihm, da er befürchtet, dass das Parteibuch oder die Verwandtschaft des Partners maßgeblich sein wird. Ansonsten begegnete uns in Swakopmund und in Windhoek, in Antiquitätenläden, Kneipen und bei unserem Autoverleih immer wieder die „Reichskriegsflagge“.

Daher warteten Einige von uns gespannt auf den Termin mit der Allgemeinen Zeitung, der deutschsprachigen Zeitung Namibias, um zu erfahren, ob die Deutsch-Namibier eigentlich wirklich alle noch geistig im Kolonialreich verhaftet sind (denn die Reichskriegsflagge war ja die Kriegsflagge des deutschen Kaiserreiches und seiner Kolonien). Am Nachmittag konnte man schon einen kleinen Eindruck vom „Brauchtum“ dieser Bevölkerungsgruppe erhaschen: ein großer Laster, ähnlich den Wagen des CSDs in Berlin, fuhr durch die Innenstadt und machte Werbung für das am nächsten Tag stattfindende Oktoberfest, auf dem Bands mit den Namen „Die Kirchdorfer“ auftraten, „Dirndl made in Namibia“ ausgeführt wurden und allerlei interessante Spiele wie Bierkrug-Heben, Nägel einschlagen und Baumstammsägen durchgeführt wurden.

Der Chefredakteur, Herr Hoffmann, begrüßte uns in den Redaktionsräumen, die sich die AZ mit der „Sun“ und der „Republikein“ teilt und begann mit einem längeren Vortrag über die Geschichte der deutschen Kolonie „Deutsch Südwest“. Er kam ungefähr bis zur Mandatsübernahme Südafrikas, denn kurz zuvor wurde die Zeitung als „Kriegbote“ geründet und 1919 in „Allgemeine Zeitung“ umbenannt. In den 1940ern hieß sie auch mal „Deutscher Beobachter“, ähnlich wie das Vorbild, der „Völkische Beobachter“. Als John Meinart die Zeitung übernahm (stolz wird ein Bild von ihm mit Seitenscheitel und Hitlerbärtchen gezeigt) wurde sie wieder in AZ umbenannt und stellte sich ab den 1950er Jahren gegen die Apartheid (Namibia war ab 1946 quasi eine Provinz Südafrikas und hatte die gleiche Verfassung).

Wirklich tiefgehend schien seine Analyse des Apartheidssystems nicht zu sein, denn wenig später sprach er von „Neo-Apartheid“ und meinte damit nicht etwa die schlechten ökonomischen Bedingungen, unter denen die schwarze Mehrheitsbevölkerung lebt, von der doch ein großer Teil in informellen Siedlungen, Wellblechhütten lebt, von denen es in Windhoek ein riesiges Gebiet gibt. Nein, der Herr fand dies eine richtige Bezeichnung für eine affirmative action, die schwarze Bewerber_innen in staatlichen Stellen bevorzugt (wo es schon rein prozentual wahrscheinlicher ist, dass jemand, der schwarz ist, eine Stelle erhält als jemand, der weiß ist). Doch die arme, deutsche Jugend muss nach Südafrika oder Deutschland zur Ausbildung, zum Studium und zum Arbeiten… Fährt man durch Klein-Windhoek, der weißen Villen-Siedlung erhält man nicht den Eindruck, dass die weiße Bevölkerung auf staatliche Stellen angewiesen ist. Agrarwirtschaft, sonstige Wirtschaft und Tourismus sind die Bereiche, in denen sie tätig sind und die ihnen kaum jemand streitig machen kann. Bezüglich der Wohnverhältnisse kann man also auch den Eindruck erhalten, dass die Apartheid erst wenige Jahre vorbei ist.

Zum Protest der Deutsch-Namibier gegen den Abbau des Reiterdenkmals (ein Denkmal, das zu Ehren des Kaisers Wilhelm II. An seinem Geburtstag 1912 errichtet wurde und einen Soldaten abbildet, der 1904-07 gegen Herero und Nama kämpfte und 2013 für den Bau des Unabhängigkeitsmuseums weichen musste) um dem Gebrauch der besagten Flagge befragt, erwiderte Hoffmann, dass die Flagge nun mal die „Kaiserflagge“ sei und die Deutsch-Namibier gerne an die Kolonialzeit erinnern, da die vor allem auch gute Infrastruktur brachte. Darauf angesprochen, dass wohl kaum die Deutschen die Schaufel selbst in die Hand genommen haben, sondern Zwangsarbeiter_innen die Eisenbahnstrecke und die Häuser errichtet haben, verteidigte sich Hoffmann mit dem Hinweis, dass es in Namibia eben keine „Umerziehung“ wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben habe und dass man hier die Kolonialzeit eben nicht so einseitig betrachte wie in Deutschland, denn schließlich lese man in Namibia auch die Tagebücher der Kolonisatoren (offensichtlich aber ohne, dass einem die Brutalität und der Rassismus darin auffällt).

Wenig überraschend ging das Gespräch über zum Genozid an den Herero und Nama 1904, der von der AZ aber nicht als solcher benannt wurde. Schließlich habe es doch auch einen Schießbefehl der Herero gegen die Deutschen gegeben, fügt unser Gesprächspartner an und musste erinnert werden, dass dieser nicht für Frauen, Kinder und Missionare galt. Der Unterschied zwischen Schießbefehl auf deutsche Kolonialherren und auf die gesamte Bevölkerung samt Internierung in Konzentrationslager und Abriegelung der wasserarmen Wüste, woraufhin damit Fliehende von Wasserversorgung abgeschlossen sind, erschließt sich Herrn Hoffmann offensichtlich nicht. Das Zitat des Generals von Trotha: „Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muß…“ sowie die Zahlen, dass 65.000 bis 85.000 Herero sowie etwa 10.000 Nama zwischen 1904 und 1907 ihr Leben verloren, scheint in den Archiven und Lektüren, die den deutsch-Namibiern zugänglich sind, offensichtlich nicht verzeichnet zu sein (oder es handelt sich um bundesdeutsche Propaganda).

Just an diesem Tag erschien in der AZ ein Beitrag von Hinrich Schneider-Waterberg zur Genozid-These, der sich darauf beschränkte, alle Autorinnen und Autoren, die den Begriff „Genozid“ verwenden und da insbesondere das Werk Horst Drechslers aus den 1960er Jahren, als „Agit-Prop-Historiker“ zu bezeichnen. Schneider-Waterberg verurteilt Drechslers Buch als bloße Behauptung, die auf keinen Quellen beruhen und bezeichnet es als fatal, dass deutsche Bundestagsabgeordnete diesem „Nationalmasochismus“ aufsitzen und die „Schlacht am Waterberg“ als Genozid bezeichnen. Einzig sein eigenes Buch von 2004 bemühe sich „der ganzen Wahrheit“. Ein Blick in Drechslers Buch spricht jedoch von einem gründlichen Quellenstudium. Hoffmann nennt diese Beiträge schlicht „Genozidbefürworter“ (sic!).

Lamentiert wurde auch über die sinkende Zahl der deutschen muttersprachlichen Schüler_innen, die von 2.400 im Jahr 1990 auf 1350 im Jahr 2015 gesunken ist. Dafür stieg jedoch die Anzahl der Deutschlernenden auf 7.500. Bloß Deutschlehrerin mag niemand werden, weswegen die „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schulvereine“ in Namibia Stipendien vergibt für jene, die sich zum Deutschlehrer oder -lehrerin ausbilden lassen.

Da wir abends noch mit Timo seinen Shebeen (Kneipe in einer Wellblechhütte) besuchen wollten, ließen wir Hoffmann mit seiner Phobie vor Aufarbeitung alleine und verpassten, ihn danach zu fragen, warum die AZ Fotos von Ku-Klux-Klan-Kostümen zu Karneval auf ihrer Titelseite abbildet. Wi verbrachten den Abend damit, uns unter die Bevölkerung des Townships „Katutura“ (der Ort, in dem wir nicht sein wollen), in das die schwarze Bevölkerung in den 1950er Jahren zwangsumgesiedelt wurden, um die Stadt Windhoek weiß zu machen. Da an dem Tag Zahltag war, war die Bevölkerung in Feierlaune. Auch 25 Jahre nach Ende der Apartheid wächst das Viertel und ein nicht enden wollendes Meer an Wellblechhütten ist bei der Fahrt durch Katutura sichtbar. Erstaunlicherweise wurden wir nicht mit Flaschen und Steinen beworfen, was man nach Kennenlernen der deutsch-namibischen Mentalität hätte erwartet können, sondern freudig begrüßt und uns wurde von etlichen Bewohnerinnen und Bewohnern zugewunken und „Hello, Bure“ und „Hello, Ladies“ zugerufen, was wir mit „Hello“ und Winken beantworteten. Weiße in Katutura sieht man selten und schon gar nicht auf der Ladefläche eines Pickups. Generell begegnete uns die schwarze Mehrheitsbevölkerung mit Freundlichkeit und Interesse und es scheint sich rumgesprochen zu haben, dass deutsche Reisende aus Deutschland ein wenig anders ticken als Deutsche in Namibia. Obwohl wir stets davor gewarnt wurden, dass Windhoek gefährlich sei und unsere Unterkunft ebenfalls von Mauern und Elektrozaun umgeben war, gab es keine nennenswerten Situationen, die Unwohlsein auslösten. Als reiseerfahrene Frau bekommt Namibia den Platz mit der geringsten Belästigung. Die einzigen Situationen, in denen sich jemand auf der Straße näherte, waren fliegende Händler, die gerne einen Plausch hielten, aber durch ein „No“ sofort die Richtung wechselten.

30. Oktober, Deutsch-Namibier und Deutsche in Namibia

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