Besuch im Frauentrakt des Gefängnisses

Zuletzt durch den Ausbruch des berüchtigten Anführers der Sinaloa-Drogenkartells „El Chapo“ Guzmán ins Visier medialer Berichterstattung geraten, berichten internationale Medien über fatale Zustände in den Gefängnissen Mexikos. Korruption, Überbelegung, Meutereien, Bandenkriege, Ausbrüche und Ungerechtigkeit sind einige der Schlagworte, die dabei fallen. Mehr als die Hälfte der mexikanischen Gefängnisse seinen durch die Insassen selbst verwaltet. Zudem sei die Präsenz von Alkohol, Drogen und Prostitution festgestellt worden.

Beim heutigen Besuch im Frauentrakt des Gefängnisses von Ciudad Juarez wollen wir uns im Gespräch mit einer Sozialarbeiterin ein Bild von Sozialarbeit im Gefängnis machen.

Wir werden von der Gefängnisleitung und einem Fiskal von Chihuahua willkommen geheißen, die uns über das Gefängnis informieren. Bei der Präsentation der Gefängnisleitung scheint es hauptsächlich um die Revidierung des schlechten Images mexikanischer Gefängnisse zu gehen.

Im Gefängnis der Stadt Ciudad Juarez selbst fand im Juli 2011 ein Aufstand statt, bei dem 17 Menschen ums Leben kamen. Nachdem Aufstand wurden literweise Alkohol, kiloweise Drogen und Waffen konfisziert. Seit dem seien durch eine grundlegende Umstrukturierung Maßnahmen ergriffen worden, um die Bedingungen in den Gefängnissen grundlegen zu verändern.

Zu diesen Veränderungen gehöre beispielsweise der limitierte Einlass von Besuchern, Identifikation von Bandenzugehörigkeiten, eine verbesserte Ausstattung der Gefängnisse und vor allem Bildungsangebote und Aktivitäten.

Den Erfolg dieser Strategie wird anhand des Rückgangs der Zahlen von Aufständen und Toten im Gefängnis belegt. Das Gefängnis von Ciudad Juarez habe sich demnach von einer „Hölle“ in ein Vorzeigegefängnis entwickelt, das dem Imagevideo des Gefängnisses zu urteilen einem Hotelresort zu verwechseln ähnlich ist. Der sich abzeichnende Erfolg geht nach Angaben des Fiskals sogar über die Mauern des Gefängnisses hinaus, denn „die Welt im Gefängnis reflektiert das Leben außerhalb der Mauern“.

Um uns davon zu überzeugen bekommen wir eine Führung im Frauentrakt des Gefängnisses.

Meterhohe, mit Stacheldraht versehene, graue Mauern umzäunen das Areal. Kein Fleck Farbe, nur nackter, abstoßender Beton und schwere rostbraune Metallgitter. Der Ort strahlt eine grau-braune Tristesse aus und lädt kaum zum Verweilen ein. Umso trauriger zu erfahren, dass die weiblichen Insassen kaum Besuch von außerhalb der Mauern bekommen, sondern im Gegenteil von ihren Partnern und der Familie meist völlig vernachlässigt werden. Die einzigen fünf Zellen, die nicht über Gittertüren einsichtig sind, für intime Besuche von Ehepartnern werden deswegen kaum genutzt. Ein Sog von Hoffnungslosigkeit.

Die Frauen selbst sind ausnahmelos in grauen Joggingsanzügen uniformiert, ihre Kleidungsstücke und Besitztümer sind exakt abgezählt, jede Individualität und Selbstbestimmung erstickt.

Der dem Gefängnis einst zugeschrieben Hedonismus und Exzess ist hier in sein grausames Gegenteil von Überwachung, Disziplinierung und Kontrolle gekehrt. Es ist eine unheimliche Dystopie, die einen Ort gefunden hat. Eine grässliche Heterotopie, dessen Realität so unbegreiflich surreal erscheint. Das beklemmende Gefühl hinter Gittern ergreift ein ungetümliches Ausmaß, als ersichtlich wird, wie sich die Frauen der gänzlich durchgreifenden Kontrolle, die an eine Dehumanisierung grenzt unterwerfen müssen. Disziplinierung und Unterdrückung, nichts bewegt sich außer Reih und Glied, als die Sicherheitsdirektorin scharfe Befehle bellt. Ein unterwürfiger Gang mit gesenktem Kopf und hinter dem Rücken verschränkten Händen, der den Frauen jegliche Würde raubt ist angeordnet. Bei unserem Betreten von den Räumen müssen sich die Frauen mit dem Gesicht zur Wand in einer Reihe aufstellen und im wahrsten Sinne des Wortes ihr Gesicht verlieren. Sie werden uns wie unwürdige Wesen vorgeführt, auf die es nicht Wert ist einzugehen, auf einer Ebene zu begegnen oder mit ihnen zu interagieren.

Als einige Frauen einen flüchtigen Blick über ihre Schulter wagen, wird ersichtlich, dass viele von ihnen sehr junge Frauen sind. Die lächelnden Gesichter aus dem Imagefilm treffen wir nicht an und sind hier kaum vorzustellen.

Wir besuchen die Küche, die Arztstation, die Bibliothek, Kursräume und die Apotheke. Auch die Zellen werden uns nicht vorenthalten: ein kleiner Raum, links und rechts ein Stockbett, eine Trennwand zu dem Waschbecken, Toilette und Duschhahn, alles durch die Gittertür von außen einsehbar. Die Frauen sind einer absoluten Sichtbarkeit ausgeliefert.

Auch wir fühlen uns, wenn dies auch nur einen minimalen Bruchteil dessen entsprechen kann, den Fotoapparaten des Gefängnispersonals ausgeliefert, das uns ständig fotografiert.

Wir sind ebenfalls dem ekelhafte Gefühl hier vor den Frauen als ein Teil des Systems aufzutreten, das sie zu Gehorsam zwingt und dem Schock, dass die grauenvolle Dystopieszenerie, die wir hier besuchen eine reale Wirklichkeit ist, die wir nach unserem Besuch verlassen, aber für die Frauen hier Monate, Jahre und lebenslang bestehen bleibt, ausgeliefert.

Wir erleben die Ungerechtigkeit eines Systems, das sich anmaßt Menschen nach selbst aufgesetzten Regeln und Rahmen von dem, was als Straftat gilt zu bestrafen. Eine Strafe, die nicht nur in Freiheitsentzug besteht, sondern ebenfalls die menschliche Würde zermahlt. Es ist eine Beherrschung, die alle Lebensbereiche durchdringt und keinen freien Raul lässt, Menschen abwertet und unterwürfig macht. Hier wurde eine Ordnung erschaffen, die alle Gefahren und somit auch alle Freiheiten auslöscht.

Wir sind entsetzt, dass dies uns jedoch als ein Erfolg und Verdienst der Regierung präsentiert wird.

Sollte das Gefängnis also tatsächlich ein Mikrokosmos der Gesellschaft außerhalb der Mauern sein, so ist dies ein trister Ort, der zwar funktioniert, aber jegliche Werte, die nach unserem Verständnis eine lebenswerte Gesellschaft auszeichnen auslöscht.

8. Oktober 2015: Das Gefängnis in Ciudad Juárez

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