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Protest gegen das Gentrifizierungsprojekt im historischen migrantischen Arbeiterviertel / Eingerissene Häuserfassade im Barrio Duranguito (Fotos: HMJokinen)

 

Ausflug nach El Paso, Gespräch mit David Romo und den Aktivist_innen im Stadtteil Duranguito

Von Hannimari Jokinen

Einmal über die Santa-Fé-Brücke, grimmige Grenzkontrolle und schon sind wir ins Zentrum von El Paso und in eine andere Welt versetzt. Eine US-amerikanische Kleinstadt, vergleichsweise reich, breite Straßen, höhere Gebäude, alles sehr gepflegt und übersichtlich gerastert. Pickups mit viel PS befahren den Stadtraum, es sind kaum Fußgänger unterwegs. Eine Geschäftsstraße bietet Billigwaren feil, die Werbetexte auf Spanisch, in der Parallelstraße ein auffälliges Ladensterben. Ich laufe Block um Block durch die leeren Straßen, am alles überragenden Gebäude des Bezirksgefängnisses vorbei (sind dort auch papierlose Migrant_innen inhaftiert?). Ich kann mir kaum eine andere Staatsgrenze vorstellen, an der die eng beieinander liegenden Stadtzentren derart divers aufeinander prallen: hie der reiche Norden, da der ärmere Süden.

Wir fahren den Stadthügel hoch, in Richtung des Armeestützpunkts Fort Bliss, Standort von Pershing-Raketen und zweitgrößter Auslandsstandort der deutschen Luftwaffe. Von oben haben wir einen grandiosen Ausblick über El Paso und die bis zum Horizont reichende Stadtfläche von Ciudad Juárez. Das rote Stadtzeichen „X“ knallt in der Sonne. Die ellenlange Bahn der BNSF Burlington Northern and Santa Fe Railway kriecht über die Grenze in die USA, vollbeladen mit Konsumgütern, Rohstoffen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus Mexiko.

Am späten Nachmittag sind wir mit David Romo im Stadtteil Duranguito verabredet. Wir treffen auf eine Gruppe von Aktivist_innen, die seit einem Monat auf der Straße Wache hält. Ihr Stützpunkt ist umgeben von großen Wandgraffitis und halb abgerissenen Häusern. Sie laden uns zum Essen aus der mobilen Küche ein. Lange unterhalte ich mich mit Siria, die mich zu den kleinen, jetzt leerstehenden Häusern führt. In einem der verlassenen Gebäude haben auch Pancho Villa und Billy the Kid schon mal übernachtet.

Bei Dunkelheit trifft David Romo ein, Kulturhistoriker, an der University of Texas lehrend, eine Stimme der Chicano-Bewegung. Er fasst zusammen, worum es bei dem Häuserkampf geht: ein Konsortium von Investoren aus El Paso und Ciudad Juárez wollen den Stadtteil abreißen, um dort eine Sportarena zu bauen. Die Aktivist_innen sehen nicht ein, dass ein solcher Ort für Megaevents ausgerechnet in der Stadtmitte platziert werden muss, zumal es sich hier um ein historisch bedeutendes Areal geht. An den Stadträndern gäbe es genug Platz.

Duranguito und Segundo Barrio, unweit vom Grenzfluss Rio Bravo, sind traditionelle Arbeiterviertel der mexikanischen Einwanderer_innen, 84 % der Bevölkerung sind Chicanos. Nun sollen in Duranguito ihre Häuser, viele um 1900 gebaut, für die geplante Arena abgerissen werden, die Bewohner_innen vertrieben und enteignet, Nachbarschaften zerschlagen. Die Investoren, einige Namen sind im unschönen Zusammenhang mit den Drogenkartellen hinlänglich bekannt, schicken die Polizei vor, die erbarmungslos gegen widerständige Hausbewohner_innen vorgeht, wie eine Augenzeugin berichtet. Die älteste Aktivistin, die uns vorgestellt wird, ist 90 Jahre alt.

Der Grund und Boden weist noch viel weiter zurückliegende Spuren der Geschichte auf: hier sind schon vor 2000 Jahren die Apachen durchgezogen („El Paso“ steht für „Durchgang“, „Passage“). Archäologische Ausgrabungen in den Hausgärten würden mit Sicherheit wichtige historische Fundstücke und heilige Grabstätten ans Licht befördern, meint David.

Er zeigt uns ein Werbeplakat, mit dem die Arena-Erbauer ihr Projekt schmackhaft machen wollen: stellvertretend für die jetzigen, ganz offensichtlich unerwünschten Bewohner_innen ist darauf ein alter gebückter Mann abgebildet, der als arm und verwahrlost suggeriert wird. Die neu herbei imaginierten Bewohner_innen werden mit Fotos symbolisiert, die zwei strahlende US-Filmstars zeigen, erfolgreich und milliardenschwer – so muss auch ein geklautes Porträt von Penelope Cruz für das Investorenglück herhalten. Drastischer und diskriminierender kann Gentrification kaum in Szene gesetzt werden.

David Romo: „Die Arbeit der Mexikaner wurde immer gebraucht, ihre Zuwanderung jedoch stets in rassistischer Manier kontrolliert.“1) In seinem Buch Ringside Seat to a Revolution2)beschreibt er, wie die Arbeitsmigrant_innen an der US-mexikanischen Grenze mit Zyklon B „entlaust“ wurden – einige Jahre vor dem Einsatz des tödlichen Giftstoffes beim Holocaust in  Deutschland.

Auch heute noch scheinen die Nachkommen der mexikanischen „Gastarbeiter_innen“ weniger Rechte in den USA zu haben. Seit der Präsidentschaft Trumps werden Arbeitsmigrant_innen zunehmend abgeschoben, Familien, die schon lange in den USA leben,  auseinandergerissen. Am Beispiel Duranguitos lässt sich feststellen, dass US-Gesetze selbst Hauseigentümerrechte der Chicanos  offensichtlich nicht hinlänglich berücksichtigen. Als örtliche Proteste nichts bewirkten, wandten sich die Bewohner_innen an die Bundesverwaltung in Washington, stießen jedoch auch dort auf taube Ohren. Wir diskutieren mit David Romo über die Möglichkeit, Duranguito und Segundo Barrio wegen ihrer geschichtlichen Bedeutung zum UN-Welterbe erklären zu lassen, ähnlich wie gerade die Stadt Hamburg in Deutschland für sein kulturelles Erbe. So könnten die beiden Stadtteile in El Paso gegen Investorenbegehrlichkeiten beschützt und historische Forschung mit internationaler Förderung betrieben werden.

1)      Zitat David Romo aus: Auf der falschen Seite von Kathrin Zeiske, Jungle World, 4.5.2017, jungle.world/artikel/2017/18/auf-der-falschen-seite (22.10.2017)

2)      David Dorado Romo: Ringside Seat to a Revolution. An Underground Cultural History of El Paso and Juárez: 1893-1923, Cinco Puntos Press, El Paso/Texas, 2017, ISBN-13: 978-0-938317-91-3, S. 240 ff.

MEXIKO/USA – El Paso: Wem gehört die Stadt?
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