Das unerfüllte Versprechen und der Wunsch nach Rückeroberung von Lebensraum in Ciudad Juárez: „La Promesa“ – eine soziale Organisation, die Kunst zur Strategie erhebt


Mosaik

Angefangen hat alles im Jahr 2012 mit einer Installation der Künstlerin Teresa Margolles für das Museo Universitário Arte Contemporáneo (MUAC) in Mexiko Stadt. La Promesa, das Versprechen, hat sie das Projekt genannt, in dem sie sich intensiv mit der sozialen Realität in Ciudad Juárez auseinandergesetzt hat.

Besonders interessiert sich die Künstlerin für Migration sowie die sozialen und politischen Bedingungen in Mexiko und deren Auswirkungen auf das Leben der Menschen.

Ciudad Juárez scheint ein geeignetes Beobachtungsfeld für Wandel und drastische Veränderung der Lebensrealitäten:

Seit den 1970er Jahren sprossen Maquiladoras, die großen Fabriken an der Grenze zu den Vereinigten Staaten, aus dem Boden, was sich mit dem Freihandelsabkommen im Jahr 1994 erneut verstärkte. Ciudad Juárez wurde für hunderttausende Menschen aus dem Süden Mexikos und den mittelamerikanischen Ländern zu einem Glücksversprechen auf Arbeit und ein besseres Leben. Die Stadt wuchs auf ein vielfaches ihrer Größe an. Jedoch wurden viele Hoffnungen enttäuscht: Prekäre Lebensbedingungen, schlechte Bezahlung und harte Arbeit ohne Aufstiegsmöglichkeiten erwarteten die Menschen, zu Beginn insbesondere die Frauen.

Aufgrund der wirtschaftlichen Krise, der damit einhergehenden Arbeitslosigkeit sowie der Welle von Gewalt, Frauenmorden und dem Drogenkrieg in den 2000er Jahren flüchteten mehr als 116.000 Menschen vor diesen Bedrohungen und die Stadt verlor seit 2007 rasant ihre Einwohnerinnen und Einwohner.

Infolgedessen stehen unzählige Häuser leer, verlassen, verfallen und können als Mahnmale für jene Familien gelesen werden, über deren Verbleib niemand etwas weiß, wie Verónica Corchado, Leiterin der sozialen Einrichtung La Promesa zu verstehen gibt.

Die Künstlerin Teresa Margolles hat 2012 eines dieser Grundstücke gekauft und das unbewohnte Haus, das darauf stand, vorsichtig abtragen und nach Mexiko Stadt transportieren lassen, wo es gänzlich zerstört wurde. Den Schutt haben Freiwillige in einem performativen Akt der stetigen Wiederholung über ein halbes Jahr lang täglich im Ausstellungsraum des MUAC verteilt. Die Hoffnung auf ein besseres Leben blieb also ein unerfülltes Versprechen.

Angeschlossen daran erarbeitete Margolles ein Dokumentationsarchiv mit Interviews, Zeitungsartikeln, Videos und Texten zur Realität in Ciudad Juárez.

Vom Haus ist nichts übrig geblieben, was es noch gab, war das Grundstück in der Calle Puerto de Palos, in einem vor 20 Jahren für die Maquiladorastrukturen geplanten, armen Stadtteil – geprägt von 35% Leerstand, welches Margolles für eine soziale Einrichtung zur Verfügung stellte. Heute stehen dort zwei Lehmhäuser in traditioneller mexikanischer Bauweise – im Sommer kühl, im Winter isoliert. Hier arbeitet die langjährige Aktivistin Verónica Corchado mit ihrer Organisation La Promesa, die das Versprechen auf ein besseres Leben mit Hilfe von Kunst und Kultur in den Stadtteil tragen, die öffentlichen Plätze zurückerobern sowie die Gemeinschaft stärken will. Kulturveranstaltungen an öffentlichen Orten wie Parks, Streetart-Workshops, Kino, Ausstellungen und die Möglichkeit für Frauen, sich bei einem Kaffee auszutauschen gehören zu jenen Stadtteilprojekten.

La Promesa arbeitet in erster Linie mit Frauen, Kindern, Jugendlichen und Familien aus der Nachbarschaft, die in künstlerischen Workshops lernen, ihre Ängste und Erfahrungen, ihre Bedürfnisse, Wünsche und Träume auszudrücken und zu reflektieren.

So arbeitet Corchado einmal jährlich über mehrere Monate intensiv mit fünf Frauen zusammen, deren Töchter Opfer von Gewaltverbrechen geworden sind oder von denen bis zum heutigen Tag jegliche Spur fehlt. Zum Teil auch gemeinsam mit den Familien entwickeln sie Porträts der Verschwundenen und Getöteten in Form von Mosaiken, um darüber ins Gespräch zu kommen, das Geschehene aufzuarbeiten, die eigenen Schuldgefühle zu bewältigen und das Leben ihrer Töchter zu ehren.

Über den Erfolg dieses Projekts sagt Verónica Corchado: „Etwas verändert sich. Es werden Prozesse angestoßen.“ Auch der Künstler Leonardo, der sich freiwillig in Projekten von La Promesa engagiert, resümiert: „Mit Kunst können wir das Leben und die Gesellschaft verändern.“

Arbeitsraum
Arbeitsraum
Lehmhaus
Lehmhaus
Mauer der Einrichtung "La Promesa"
Mauer der Einrichtung „La Promesa“

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http://nortedigital.mx/la-promesa-que-no-se-olvido

25. September 2015 „La Promesa“

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