Namibia. Foto: Jan SeverinPolitische Reise – Oktober/November 2015

Das Interesse von deutscher Seite aus an Namibia richtet sich primär auf seine touristischen Attraktionen, obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – Namibia von 1884 bis 1915/1919 eine Kolonie des deutschen Reichs war. Im Zentrum des Interesses stehen hierbei die Tiere und Landschaften Namibias, teilweise auch als „exotisch“, „authentisch“ und „traditionell“ vermarktete Bevölkerungsgruppen. Die aktuelle politische und soziale Situation, die Nachwirkungen von deutscher Kolonialherrschaft und dem Apartheidsregime und die Verhandlung dieser historischen Epochen in Namibia bleiben dabei weitestgehend ausgespart.  Ein Interesse an diesen Thematiken weckt bei Gesprächen mit deutschen Tourist_innen in Namibia oft eher fragende oder irritierte Blicke, schnell wird lieber wieder danach gefragt, was für eine Kamera und welches Objektiv man denn verwendet.

Vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus und in Anschluss an eine Reise des IAK nach Namibia 2010, die die Auseinandersetzungen um die Verteilung von Land als zentrale Thematik hatte, organisieren wir im Herbst 2015 eine Reise nach Namibia, die die Frage nach den Nachwirkungen der beiden kolonialen Regimes und den Verhandlungen darüber nach 25 Jahren Unabhängigkeit mit einem Fokus auf die aktuellen sozialen Konflikte und Auseinandersetzungen verbindet. Hier ist in Namibia aktuell viel in Bewegung: Letztes Jahr wurde das neue offizielle Unabhängigkeitsmuseum eröffnet, von Nordkoreanern konzipiert und gebaut, der Windhuker Reiter, das zentrale Denkmal deutscher Kolonialherrschaft, wurde um Weihnachten 2013 demontiert, was einen Aufschrei in der deutschsprachigen Community in Namibia nach sich zog, und aktuell wird die angekündigte Umbenennung von Lüderitz, der nach ihrem Gründer benannten ersten deutschen Siedlung, kontrovers diskutiert. Auch die Forderungen nach einer kompletten Rückgabe der Schädel von Namibier_innen, die während der deutschen Kolonialherrschaft zu Forschungszwecken nach Deutschland transportiert wurden und hier teils immer noch in Museen und Krankenhäusern lagern, wie auch nach einer Entschädigung für die unter der deutschen Kolonialherrschaft verübten Verbrechen, insbesondere des Genozids an Herero und Nama, sind keineswegs verstummt.

Auch im sozialen Bereich finden sich aktuell eine Vielzahl von Entwicklungen, Debatten und Auseinandersetzungen. Daran ändert auch der deutliche Wahlerfolg der seit der Unabhängigkeit 1990 allein regierenden ehemaligen Unabhängigkeitsbewegung SWAPO in den Wahlen Ende 2014, die sie mit rund 80% gewannen, nichts. Neben der immer wieder auftauchenden Debatte um notwendige Interventionen in die Verteilung von Land (der überwiegende Tell des farmwirtschaftlich wertvollen Landes ist immer noch im Besitz von “Weißen”) sorgen auch die Wohn- und Lebenssituation in Windhoek und anderen Städten für heftige Diskussionen und politische Konflikte.  Ähnliches gilt für die Situation im Bereich des für Namibia bedeutenden Uranbergbaus. Dazu kommen neue Initiativen von gewerkschaftlicher Seite, wie die Formierung einer Gewerkschaft für die meist sehr schlecht bezahlten “domestic workers” (im Gegensatz beispielsweise zur Landarbeit und zum Bergbau arbeiten vor allem Frauen* in diesem Bereich) und Debatten um die Etablierung bzw. Erhöhung von Mindestlöhnen in verschiedenen Branchen. Während es lange Zeit – vermittelt über den Befreiungskampf – eine sehr enge Kooperation verschiedener gesellschaftlicher Akteure und Institutionen mit der regierenden SWAPO und dem Staatsapparat gab, kommt es in diesem Bereich zunehmend zu Rissen und Infragestellungen, die das Feld für verschiedene gesellschaftliche Konflikte wie auch neue Akteure eröffnen. Auch die Geschlechterverhältnisse in der namibischen Gesellschaft werden immer wider öffentlichkeitswirksam verhandelt, nicht zuletzt im Wahlkampf, den die SWAPO mit einer 50/50-Quotierung ihrer Listen bestritt, die einige altgediente Kämpfer aus dem Unabhängigkeitskampf ihrer ansonsten sicheren Listenplätze enthob.

Ein Aspekt, der bei vielen dieser Auseinandersetzungen mit verhandelt wird, ist die Frage, was sich in 25 Jahren Unabhängigkeit verändert hat. Das betrift unter anderem eine zumindest teilweise wahrgenommene Kluft zwischen den Namibier_innen, die das Apartheidsregime und den Befreiungskampf direkt miterlebt haben, und den Ende der 1980er oder in den 1990ern Geborenen, die diese Erfahrung nicht mehr gemacht haben. Sie findet sich aber auch in den zahlreichen Unmutsbekundungen über die sozialen Zustände, die die letzten Jahre zu hören waren.  Der Fokus der Reise zum einen auf das Thema des Kolonialismus, seiner Nachwirkungen und des Erinnerns daran und zum anderen auf die soziale Situation und die sozialen Konflikte im aktuellen Namibia soll Einblicke in die Bedeutung kolonialer Geschichte und kolonialer Strukturen auf die postkoloniale Gesellschaft Namibia – auch gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte – ermöglichen, ohne die namibische Gesellschaft auf diese Geschichte zu reduzieren, und auch das Hier und Jetzt, den Alltag und seine Anforderungen und Konflikte vor Ort in den Blick nehmen. Die Frage, was in 25 Jahren Unabhängigkeit geschehen ist und was sich verändert hat, wird hier auf der Reise immer wieder eine wichtige Rolle spielen.

Auf der Reise wollen wir uns diesen Thematiken in Treffen mit verschiedenen namibischen Akteuren annähern, darunter  Vertreter_innen von Gewerkschaften und der Landlosenbewegung, von einer namibischen Frauenorganisation und Akteur_innen im gedenkpolitischen Bereich. Eine intensive gemeinsame Vorbereitung an mehreren Wochenenden, bei der die Interessen der Mitreisenden in die Planung der Reise und der Treffen mit eingehen, ist geplant. Hier wird auch Raum für eine Auseinandersetzung mit den vielfältigen Problematiken sein, die bei einer solche Reise aus Deutschland nach Namibia entstehen können. Für eine regelmäßige Auseinandersetzungen mit den Erlebnissen und Erfahrungen vor Ort während der Reise wird ebenfalls Raum sein.

Reisetermin: Mitte Oktober bis Anfang November 2015 (20 Tage)

Vorläufiger Stand der Anmeldungen: Es sind noch einer oder zwei Plätze zu vergeben

Kosten: voraussichtlich zwischen 1700 und 1800 Euro

Weitere Informationen: namibia@iak-net.de

Namibia: 25 Jahre nach der Unabhängigkeit – Soziale Konflikte und postkoloniale Erinnerungspolitik

Ein Kommentar zu „Namibia: 25 Jahre nach der Unabhängigkeit – Soziale Konflikte und postkoloniale Erinnerungspolitik

  • 17. Dezember 2017 um 11:52 Uhr
    Permalink

    Gibt es einen Bericht über eure Reise?
    Gruß
    Kirsten Bartsch

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