Wir treffen uns im Edificio de los Sueños, sitzen am frühen Nachmittag im 1. Stock zwischen Bildern im warmen Licht der Ausstellungsbeleuchtung. Eine geschützte vertraute Umgebung, in der uns Reyna de la Torre von der Ermordung ihrer Tochter Isabel Cabanillas berichtet und ihrem eigenen quälenden und gefährlichen Kampf für die Wahrheit um den Tod ihrer Tochter. Reyna wird begleitet von einer Freundin von Isabel.

Isabel Cabanillas de la Torre, 1993 in Ciudad Juárez geboren, war eine Künstlerin und Aktivistin für Frauenrechte. Sie bestand auf ihrem Recht, sich in ihrer Stadt mit ihrem Fahrrad frei zu bewegen. Als sie ermordet wurde, bereitete sie sich darauf vor, bald als Artist in Residence nach Berlin zu kommen.

Am 18. Januar 2020 gegen halbs eins nachts war Isabel aus einer Bar aufgebrochen, um mit ihrem Fahrrad nach Hause zu fahren. Nicht weit von der Bar entfernt wurde sie von einem Auto, das ihr gefolgt war, angefahren. Isabel stürzte zu Boden. Auf dem Boden liegend wurde sie erschossen, mit Schüssen in Brust und Kopf. Obwohl mehrere Personen sie dort, auf dem Bürgersteig liegend, gesehen haben müssen, dauerte es über eine Stunde, bis die Tat gemeldet wurde.

Isabel war kurz zuvor in der Bar so heftig angerempelt worden, dass sie dazu an Ort und Stelle einen Facebook-Eintrag verfasst hatte. Im Nachhinein wurde das Anrempeln als Hinweis für die beiden Täter gedeutet, um ihnen zu signalisieren, wen sie ermorden sollen.

Isabel wurde 26 Jahre alt und hinterließ einen vierjährigen Sohn.

Als Isabels Eltern am Tag der Tat bei der Staatsanwaltschaft erschienen, wurden sie als Verdächtige behandelt und stundenlang verhört. Nach dem unfassbaren Verbrechen und im tiefsten Schmerz der Eltern eröffnete sich die nächste Phase der Willkür: der juristische Umgang mit dem Verbrechen. In den folgenden Jahren versuchte die Staatsanwaltschaft, Isabel in die Nähe der Organisierten Kriminalität und des Drogenhandels zu rücken. Damit soll sie gewissermaßen als selbst schuld an ihrer Ermordung erklärt werden. Jetzt nach fünf Jahren und vielen Konflikten mit der Staatsanwaltschaft, in der Reyna sogar selbst bedroht wurde, wird die Ermordung Isabels von Seiten der Staatsanwaltschaft endlich als „gender crime“ behandelt.

Reyna spricht ruhig und überlegt über den Mord an ihrer Tochter und ihre eigenen Kämpfe und Verzweiflung. Aber wir merken, wie schwer es immer wieder für sie ist und wie die Gefühle sie ergreifen. Sie betont, wie wichtig die Begleitung durch zwei von Isabells Freundinnen und durch ihre Anwältin ist. Darüber hinaus hat sie wenig Unterstützung. Viele Verwandte und Freunde haben sich abgewandt; ihr Mann begleitet sie schon lange nicht mehr. Der Kampf um die Wahrheiten hinter den Femiziden und für die Gerechtigkeit für die Opfer bleibt vor allem ein Kampf der Mütter.

Als unser Gespräch beendet ist, übergibt Kathrin Reyna einen Artikel, die sie in einer deutschen Zeitung über den Femizid an Isabel veröffentlicht hat. Da hellt sich Reynas Gesicht auf. Die öffentliche Resonanz, weit über Mexiko hinaus, tut ihr gut und hilft, den Fall als nicht abgeschlossenen im öffentlichen Bewusstsein zu halten.

Danach gehen wir gemeinsam Isabels letzten Weg. Es ist nicht weit zu dem Ort, wo sich die Bar befand, aus der Isabel aufgebrochen war. Von dort sind es ein paar hundert Meter bis zu der Stelle, wo sie angefahren und ermordet wurde. Ein rosafarbenes Kreuz am Bordstein und ein rosafarbenes Fahrrad, an einer Laterne aufgehängt, markieren den Ort. Auf dem Wege begleiten uns zahlreiche Graffiti: „Isa vive“, „Isa no es criminal“ (Isa lebt, Isa ist nicht kriminell).

Wir folgen den Murales und Graffiti bis zu einer Hausecke. Auf der einen Seite befindet sich ein von Isabel gemaltes Wandbild: ihr eigenes Gesicht ohne Augen, aber mit vielen Augen, die um sie herum schweben und sie beobachten. Auf der nächsten Hauswand eine Sammlung von Bildern und Texten in Erinnerung an Isa. Diese Wand wird jedes Jahr neu gestaltet.

Uns bleibt Sprachlosigkeit und Fassungslosigkeit über das Verbrechen und hilflose Wut auf einen Staat und eine Staatsanwaltschaft, die kein Interesse an Aufklärung haben und alles versuchen, die Verantwortung für die Tat und die Schuld dem Opfer selbst oder seinem persönlichen Umfeld zuzuschieben.

Der Kampf für die Aufklärung des Mords an Isabel Cabanillas

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